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Mit dem Schleppschwein unterwegs

17.11.2004

Heute früh hatte es zwar komfortable fast zehn Grad, regnete aber in Strömen. Immerhin tat es das nicht gestern abend, da ich in meiner grenzenlosen Gutmütigkeit bereit war, meinem Mitbewohner einen Sack mit Pflanzhumus aus dem Bauhaus mitzubringen - bin ich ja eh dagegen, weil Pflanzen gehören in die Natur und nicht in die Wohnung.

Na, aber was tut man nicht alles für andere Leute, solange man noch nicht tot ist, was!? Ich also zu Bauhaus in Wittenau. Wittenau besteht ausschliesslich aus Schrebergärten und den Plattenbau-Verbrechen des Westberliner sozialen Wohnungsbaus der siebziger Jahre; so üble "Sozial"strukturen finden Sie in ganz Lichtenberg nicht. Ich will mich nicht über das Aussehen der Leute erregen, denn ich selbst trage stolz Löcher in den Hosen etc, und asoziales Verhalten hat für mich auch nichts mit Geldmangel zu tun.

Asoziales Verhalten äussert sich eher im Parken in der zweiten Reihe, in dumpfbackigem Anhalten ohne Hindernis und nachfolgendem Einfahrt-Blockieren. Sowie darin, dass die Leute im Baumarkt umherschlurfen, keine Richtung kennen und bereits dann sichtlich überfordert sind, wenn sie einfach nur dumm rumstehen und den Weg versperren: Nichts gegen Nichtskönner, aber wer sich in einem Ladengeschäft nicht an die simpelsten Regeln hält (mit dem breiten Wagen nicht in den schmalen Gang, die Leiter nicht quer zur Laufrichtung halten, kein Schwätzchen mitten im Gang, wissen wieviel Geld man dabeihat etc) - der sollte seinen Betreuer einkaufen schicken, zumal wenn es eh bloss um kitschige Plastedeko und Lichterketten geht.

Na, also jedenfalls in Wittenau sind nur solche Leute und praktisch keine anderen. Wenn Sie die Mitarbeiter im Baumarkt dort fragen: Wo ist Pflanzhumus? - dann rennen die an Ihnen vorbei, lächeln dabei nett und sagen: "Was kann ich für Sie tun?" - und laufen weiter.

Irgendwann hatte ich den Sack gefunden und hätte am liebsten die Dame darunter begraben, die vor mir an der Kasse stand und sich ausserstande sah - einerseits das gute Ideal-Standard-Becken in eine Plastetüte zu stopfen, oder andrerseits mit einem unverpackten Becken sich endlich fortzuschleichen. Immerhin war der im Katalog angegebene Preis noch korrekt.

Wär ja auch zu hart, wenn NUR nervige Dinge passieren; zumal die Heimfahrt ja noch gar nicht begonnen hatte.


Der schwere Pflanzhumus
Ich warf den 60-Liter-Sack (!) über die Sitzbank, wohin er sich sogleich fläzte, als ob er nie wieder aufstehen wollte. Ich begrüsste das, denn auf den nächsten zwanzig Kilometern wäre mir das auch sehr ungelegen gekommen. Zumal ich nur einen von drei Spanngurten am Start hatte, der auch nicht einmal rüber und wieder zurück reichte; schliesslich verzurrte ich den trägen Kollegen einmal diagonal und sprach ein Gebet, dass diese Gelegenheit nicht genutzt würde, mich für meinen Leichtsinn zu strafen.

Was auch nicht passierte; indes ER gemahnte mich daran, beim nächsten Mal die Sitzbank effektiver auszunutzen: Vorerst aber hatte ich noch die Wahl, ganz vorn auf der Sitzbankkante ("Affe aufem Schleifstein") zu sitzen, oder obenauf des Sackes, wie der Bauer auf einer Heufuhre. - Sah lustig aus, den offenen Mündern der Kinder in den Fonds der vorbeifahrenden Wagen nach zu urteilen.

Endlich kam ich aber an und stiess unter lautem Fluchen den Inaktivbär von seinem Thron, deckte das gute Schleppschwein zu und schuftete den mittlerweile auch nassen Sack die Treppen hinauf. Dort entgrantelte ich mich zunächst durch Herumwerfen des Schlüsselbundes, wodurch ich einen Schlüsselring sowie die Kante einer Spanplatte in Mitleidenschaft zog. Geteiltes Leid ist halbes Leid, und so ging es mir schon bald wieder besser.

Meinem so reich geholfenen Mitbewohner entfuhr als Kommentar zu der Ochsentour lediglich, dass der Sack im Katalog aber doch kleiner aussah. Das war mir schon klar; ich hatte gar nicht erst auf das Katalogfoto geguckt, um den Schreck beim Anblick des reallife-Artikels zu verringern.

(1) Gepäck möglichst weit nach hinten. Lieber gehe ich nochmal rein und kaufe zusätzliche Spanngurte, als nochmal mit zwanzig Zentimetern freier Sitzbank vorlieb zu nehmen.

(2) Wenn Sie als Raucher auf dem Rückweg noch wo anhalten und was einkaufen wollen, sollten Sie unmittelbar vor dem Losfahren eine Zigarette geraucht haben.

(3) Und ganz optimal wäre, wenn die Freunde des Gartenbaus sich ihren Humus selbst beschaffen.

Aber ich will nicht nur unken - schliesslich lag es genau auf dem Weg, ich bin heil angekommen und es ist nichts abzulehnendes dabei passiert. In der Alexanderstrasse versuchte mich der Fahrer eines weissen Caravelle-TDI zu töten, aber durch die Urgewalt meiner 110dB-Hupe warf ich ihn aus der Spur; das hatte aber mit dem Humus nichts zu tun und wenn ich da eine halbe Stunde eher langgefahren wäre, hätte es ein anderer probiert. (Sie probieren es fast jeden Tag.)

Aber ach was - solange das Schwein unversehrt ist und ich selbst lediglich nass und durchgefroren bin, muss man sich eigentlich nur freuen.